Silly Walks und Schlatz

Foto: Viennale

Über den Film „Attenberg“

 

Auf facebook gibt es für den 7.Jänner eine Veranstaltungseinladung zum „International Silly Walks Day“ nach Monty Python, mit der Aufforderung: “walk silly, wherever you happen to walk, from 6:00 to 23:30”. Eine Woche später startet „Attenberg“ im Stadtkino. Das trifft sich gut, dann sind manche ZuschauerInnen aufgewärmt für die Silly Walks Zitate, die in „Attenberg“ als eine Art chorischer Kommentar fungieren.

 

Für Regisseurin Athina Rahel Tsangari, die nicht nur Filmemacherin, sondern auch Performance Künstlerin ist, sind Körperlichkeit und Bewegung ausdrückliche Referenzen. Die Monty Python Zitate führen die beiden Hauptdarstellerinnen, hauptberufliche Tänzerinnen, als Unisono Sequenzen nebeneinander aus, zum Publikum hin oder vom Publikum weg, gefangen in einer Bildkomposition, die sich mit der Architektur der in den 60er Jahren gebauten griechischen Stadt, in der die Handlung des Film angesiedelt ist, deckt.

 

Analog zu jenem architektonischen Experiment entwirft die Filmemacherin eine genau berechnete formale Konstruktion rund um große Fragen – Warum haben Menschen Sex? Warum müssen Menschen sterben? – in der sie alle Bilder und Töne mit allen Linien und Motiven ihres Films zusammenbringt. Tsangari entwickelt Diskurse über Körperlichkeit, die ursprünglich in der Performance Kunst verhandelt werden und verknüpft sie mit anderen kulturellen Formen wie Architektur, Filmgenres, Psychoanalyse und Popmusik. Die Komposition des Films verbindet alles mit allem in zwei- bis mehrfachen Knoten. Ich brauche für die Besprechung des Films nur irgendwo anzufangen und mich Knoten für Knoten weiter zu hangeln und werde nie auf eine Leerstelle treffen. Das kann dem Film ein Vor- oder Nachteil sein, je nach Verlangen des einzelnen Zuschauers nach Absicherung oder Spielraum.

 

Dass Menschen Sex haben und sterben, unterscheidet sie nicht von Tieren. Also kann man sie auch anthropologisch beobachten und studieren, wie Tiere in TV-Dokumentationen. Das ist der Ausgangspunkt von dem aus ganz trocken Vorgänge und Beziehungen beschrieben werden, was oft zu witzigen Momenten und kurzen überraschenden Dialogen führt, aufgrund der Mehrfachknüpftechnik aber manchmal auch zu Eigensabotage der behaupteten Leichtigkeit und einem statischen Gesamteindruck.

 

Ich fange der Einfachheit halber mit einer Einstellung an, die gleichzeitig das Foto ist, das den Film bewirbt. Der Hintergrund, vor dem von links und rechts die vorgereckten Köpfe der beiden Hauptdarstellerinnen im Profil ins Bild kommen, ist weiß. Wie das Weiß in der griechischen Tourismuswerbung, nur schmutziger, wie das Weiß der künstlichen Stadt, weiß wie die klinische Einrichtung des Krankenhauses, wo die eine Hauptfigur, Marina, ihren sterbenskranken Vater, der als Architekt an ebendieser Stadt, die bereits halbverlassen und also ebenfalls im Sterben liegt, mitgebaut hat, besucht. Klinisch und anthropologisch und auf eine spielerische Art didaktisch sind sowohl der Blick des Films auf körperliche Vorgänge als auch Marinas Blick auf ihre Mitmenschen.

 

Die beiden Frauen recken ihre Köpfe vor, um sich in der Mitte der Leinwand zu treffen. Sie tun das ohne Zuhilfenahme der Hände, sie verwenden nicht einmal die Arme um ihr Gleichgewicht auszutarieren. Sie agieren von Mund und Kopf aus, so wie Tiere auf dem Sprung. Echte Tiere kommen in Ausschnitten aus Naturdokumentationen von David Attenborough vor, dessen falsch ausgesprochener Name gleichzeitig dem Film seinen Titel gibt. Immer wieder entwickeln sich Dialoge von der Kritik an Aussprache oder Begriffen zu Sprachspielen zu Sprachfetzen zu Lauten zu Tierlauten, von wo aus dann die Bewegungen der DarstellerInnen in Tierimitationen (Albatros, Gorilla, Katze, Tiger) übergehen, die sehr gekonnt choreografiert und virtuos ausgeführt sind. Penis ist ein Wort, das Marina anfänglich nicht aussprechen kann, also wird es durch „kleines Tier an männlichen Körpern hängend“ ersetzt.

 

Marina isst sogar in der erwähnten tierischen Art, sie schiebt den Kopf nach vorn und unten zum Essen hin, anstatt das Essen mit der Hand zum Mund zu führen, was relativ grauslich anzusehen ist. Gleichzeitig hat sie eine Abscheu vor körperlichen Vorgängen, weshalb sie bis jetzt von Sex Abstand gehalten hat, in einer Mischung aus unterdrücktem Begehren, offener Bewunderung und vernichtender moralischer Beurteilung. Aber jetzt will sie Sex lernen, und zwar von ihrer Freundin Bella, und anwenden will sie das Gelernte bei einem mysteriösen Fremden, der, wie in einem Western, in der Stadt auftaucht. Das Zueinanderkommen der Köpfe leitet Lektion Nr.1, den Zungenkuss, ein. Für diesen will Speichel produziert sein. In der Performance Kunst ist dem Ekel vor Absonderungen als Produkten unseres Körpers, die an dessen Grenzen, den Schleimhäuten, das Subjekt verlassen, eine eigene Kunstgattung gewidmet, die „Abject Art“.

 

Marina muss in einer Art verspäteter Pubertät (was wiederum ein Verweis auf griechische Eltern-Kind Beziehungen ist) nach und nach lernen, ihre Angst und ihren Ekel vor allem Sexuellen zu integrieren. Der Speichel verhält sich ähnlich schlatzig auf der Haut wie die Absonderung der Aloe Vera Pflanze, mit der sie die Hand ihres Vaters einsalbt. Parallel zu Bellas Sexualkunde lässt Marina sich hinsichtlich der Bestattung ihres Vaters beraten. Fäulnisprozesse mit Würmern und Bakterien sind ekliger als die Vorstellung, saubere Asche zu hinterlassen, das findet auch der Vater. Als Marina die Asche ihres Vaters ins Meer streut, das ist ganz zum Schluss des Films, steht sie auf einem Boot und dementsprechend gerät der Bildrand in schwankende Bewegung. Was für eine Wohltat nach all den Bildkompositionen aus rechten Winkeln, Parallelen und Symmetrien.

 

Wenn ich mir für das Filmjahr 2011 etwas wünschen dürfte, dann wäre das die Programmierung eines weiteren Films über weibliche Adoleszenz: „La Vie au Ranch“ von Sophie Letourneur. Dieser Film ist vom anderen Ende her erzählt, von einem fast furchtlosen Selbstverständnis, das einen in einer filmischen Textur aus Körperlichkeit, Selbstvergessenheit und hoher Redegeschwindigkeit geradezu schwindlig macht.

 

Veröffentlicht in Stadtkinozeitung 4.Jänner 2011

 

 

 

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