Tiefenströmung eines Wortgeschehens

Schauspielhaus: Christine Gaigg choreografiert Xaver-Bayer-Prosa

 

Von Helmut Ploebst, Der Standard

 

Dieser Mann ist nicht ganz allein. Einsam ist der Erzähler in Xaver Bayers Text Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen schon, während er am Brüsseler Flughafen auf seine Anschlussmaschine wartet. Doch in der von Christine Gaigg choreografierten Bühnenfassung, die jetzt nach ihrer Uraufführung im Schaupielhaus (eine Kooperation mit dem Tanzquartier) zu sehen ist, hat sich dieser Reisende geteilt.Im Buch hängt der monologisierende Passagier an einem einzigen, sich über 116 Seiten dehnenden Satz: vom Einsetzen eines Stroms aus Assoziationen und Erinnerungen bis hin zu dem Punkt, an dem sich die Figur am Ende ihrem Anschlussflug entzieht. Für das Stück fischt Regisseurin Gaigg den Reisenden aus seinem Satzfluss, macht einen Mann und eine Frau aus ihm und umgibt dieses Paar mit vier Tänzern, die offenbar die Tiefenströmungen der Sprache verkörpern.Und so sitzen die Schauspieler Thiemo Strutzenberger und Nicola Kirsch steif auf Sesseln in einem Bühnenbild aus schwebenden Plexiglaswänden, das aus Gaiggs früherem Tanzstück Trike in diese Arbeit übersetzt wurde. Die Tänzer dagegen liegen, zum Teil halb aufgerichtet, auf dem Boden. Dort bewegen sie sich hin und her, wetzen wortlos. So wie in Bayers Text die Bilder und Szenen an- wie ineinanderrücken.

Unter der gesprochenen Erzählschicht spielt sich die Literatur des Körpers ab. Die Tänzer - Petr Ochvat, Anna Prokopová, Eva-Maria Schaller und Veronika Zott - machen eindrucksvoll die manische Unruhe der Bayer'schen Figur deutlich, ihre Windungen und ihre Rastlosigkeit, die immer wieder von Apathie und Sichaufbäumen durchbrochen wird. Und diese Tänzer verleihen der von Kirsch und Strutzenberger fabelhaft vorgetragenen Sprechhaut einen wortlosen Sprachkörper. Das heißt, sie machen die innere Dynamik der Körperlichkeit im Text des Erzählers nachverfolgbar.

Dieser Mann ist tatsächlich nicht allein. Seine Assoziationen bedrängen ihn, und sein Körper wetzt in der und durch die Flughafenhalle. Deren Sensationen dringen in Form von Plakaten, Zeichen und beobachteten Szenen auf ihn ein, die wiederum allerlei nicht immer angenehme Erinnerungen wecken. Er wandert umher und entdeckt Gebetsräume für verschiedene Konfessionen. Er irrt von einem zum anderen Raum, als ein Umhergetriebener, der nicht auf Godot wartet, sondern bloß auf den Anschlussflug.

Kein Wunder, dass sich Gaigg einen Sprachtanz wie den Bayer'schen ausgesucht hat. Das Stück Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen erinnert an ihre Umsetzung von Peter Kubelkas tanzaffinem Experimentalfilm Adebar in einen choreografischen Ablauf. Auch damals, 2003, hatten die Tänzer die Aufgabe, eine - hier: filmische - Struktur zu verkörpern. Vier Jahre später setzte Gaigg Elfriede Jelineks Text Über Tiere als installative Performance um. Auf diese Erfahrungen ist nun das neue Stück gebaut.Mit einer Besonderheit: Bayers ironiedurchzogener Text bringt eine Spannung und zugleich Leichtigkeit in diese Arbeit, die für Gaiggs bisheriges Schaffen eher untypisch ist. So wird die absurde Situation, um die es hier geht, zur würzigen Satire auf unsere Gesellschaft, die vor lauter Ablenkung und Narzissmus dabei ist, den Anschluss an ihre Zukunft zu verpassen.

Helmut Ploebst, DER STANDARD, 17./18.3.2012

 

 

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