Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt

Let's dance about sex: Mit Tänzerinnen und Schauspielern inszeniert Christine Gaigg einen inneren Monolog von Xaver Bayer

 

Theaterkritik: Wolfgang Kralicek, Falter

 

Auf die Frage "Woran denkst du?" sollte man sich keine ehrliche Antwort erwarten. "An nichts!" ist noch eine der harmloseren Lügen, die man darauf zu hören bekommt. Niemand denkt an nichts, niemals.

Gedanken lesen können nur Zauberer. Für alle anderen gibt es die Literatur, wo sich der innere Monolog großer Beliebtheit erfreut. Der Wiener Autor Xaver Bayer (geb.1977) etwa begibt sich in seiner Erzählung "Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen" (2011) für ein paar Stunden in den Kopf seines Protagonisten und zeichnet in einem einzigen langen Satz dessen Gedankenstrom auf.

Der Ich-Erzähler ist Fotograf und er hat sich von seiner Freundin getrennt. Das ist alles, was wir von ihm erfahren. Ort der Handlung ist der Transitbereich des Brüsseler Flughafens, wo der vielgereiste Mann ein paar Stunden Wartezeit überbrücken muss. Er trinkt ein Bier, erwirbt im Duty-free-Shop lustlos einen japansichen Whisky und inspiziert sämtliche Abteilungen des Airport-Andachtsbereichs.

Dass er ein guter Beobachter ist, gehört zum Handwerk des Fotografen; sein Problem ist, dass er zugleich stets auch sich selbst bespiegelt.

Die "Masse an Eindrücken, die sich in wenigen Augenblicken ins Unüberschaubare ausdehmem", macht dem hypersensiblen Flaneur - er wirkt manchmal wie eine Parodie auf den Beobachtungsfetischisten Peter Handke - zu schaffen. Wenn zum Beispiel jemand seinen Laptop startet, muss der Erzähler beim Erklingen der Windows-Startsignation sofot an Brian Eno denken; von diesem wiederum führt die Assoziation umgehend zu David Bowie und weiter zu dessen Auftritt in dem Film "Christiane F.".

Um sich gegen die Zumutungen der Außenwelt zu wappnen, hat sich der gefühlskalte Held, der statt Sehnsucht höchstens noch "Sehnsucht nach Sehnsucht" empfindet, in ein emotionales Schneckenhaus zurückgezogen. Obwohl im Text immer wieder auf das Theater verwiesen wird (Namen aufgerufener Passagiere erinnern an Schauspieler, ein Raum an ein Bühnenbild usw.), drängt sich die Erzählung als Vorlage für einen Theaterabend nicht unbedingt auf.

Um Bayers Monolog bühnentauglich zu machen, braucht es schon einen besonderen Ansatz. In ihrer Inszenierung am Schauspielhaus (einer Koproduktion mit dem Tanzquartier) legt die Choreografin Christine Gaigg den Text einer Schauspielerin (Nicola Kirsch) und einem Schauspieler (Thiemo Strutzenberger) in den Mund, während gleichzeitig drei Tänzerinnen und ein Tänzer aus Gaiggs Companie 2nd Nature ihre Körper sprechen lassen.

Der Text wird durch die Choreografie aber nicht illustriert, sondern um eine zusätzliche Ebene erweitert: Gezeigt wird das, was in der Erzählung nicht vorkommt. "Mir wollte beim Lesen nicht einleuchten, wie jemand auf einem Flughafen drei Stunden lang warten, beobachten, denken kann, ohne dass nicht wenigstens ab und zu eine sexuelle Fantasie sein Denken kreuzt", sagt Christine Gaigg im Programmheftinterview.

Man braucht nicht viel Fantasie, um ihre bodennahe Choreografie als sexuell zu interpretieren. Während die Tänzerinnen auf der Bühne liegen, kauern oder hocken, lassen sie permanent das Becken kreisen. Weil sie dabei keinerlei Emotionen zeigen, hat die Rammelei etwas Mechanisches, auch Animalisches; wie Hunde streunen die Tänzer über die Bühne, auf spontane Angriffe wird mit instiktiver Verteidigung reagiert.

Christine Gaigg setzt dem Text damit genau das entgegen, was dem Protagonisten abhanden gekommen ist: das pure, unreflektierte Dasein. Der Vorlage entprechend ist ihre kluge, subtile Inszenierung trotzdem eher ein kühler als ein geiler Abend.

Credits
Interview mit Christine Gaigg
Let's dance about sex
Tiefenströmung eines Wortgeschehens
Nicht-Orte
Freud